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Brahms.Variationen

„Klavier-Variationen beherrschen den deutschen Tanz-Herbst.(...) In Münster hat sich Daniel Goldin aus drei Klavierkompositionen von Johannes Brahms - über ein Thema von Robert Schuhmann, op. 23; über ein Thema von Joseph Haydn für zwei Klaviere, op. 56b; Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Friedrich Händel, op. 24 - seine eigenen „Brahms.Variationen” gebastelt. Die einstündige Choreographie hat er barfüßig auf flache Sohlen gestellt und in ein Wasserbett gesetzt, die Musik kommt von Band. Fürs Kleine Haus hat Matthias Dietrich eine Wasserbühne gebaut - als ein fernes Echo auf Rolf Borziks Bühnenbild für Pina Bauschs „Arien”. Der schäbige Raum verjüngt sich nach hinten auf einen Durchbruch mit einer Empore hin, auf der ein einzelner Mann mit sparsamen Bewegungen den Tanz beginnt. Ihre spezielle Eigenart und Qualität aber gewinnt Goldins Choreographie aus der Beschaffenheit der Tanzfläche; der Boden ist mit Wasser knöcheltief bedeckt. (...) Er beginnt mit weit ausholenden Armeschwüngen und flatternden Händen, wie sie für die Folkwang-Schule typisch und in vielen Stücken von Pina Bausch anzutreffen sind. Goldin kombiniert diese - zunächst eher ruhig und bedächtig ausgeführten - Armschwünge mit Gängen und Läufen in zunehmendem Tempo, bald auch ins immer heftiger spritzende Wasser. Erst in der zweiten Hälfte der Aufführung strebt die Bewegung den Boden an. Zunehmend stärker wird das Wasser, in das sich die Tänzer fallen lassen, zum wichtigsten Element des Dreiteilers. Das erste Viertel der Aufführung gehört den Frauen. Als Ensemble, das sich immer wieder in Solo-Akte aufspaltetet, lösen Laura Delfino, Jennifer Ocampo Monsalve, Ines Petretta und Perle Pinato, von Gaby Sogl in pastellfarbene Hosenanzüge mit weiten Unterteilen gekleidet, den einzelnen Mann auf der Empore ab. Lange begnügen sie sich mit aufrechten Gängen und Läufen, Kreiseln und sanften Pirouetten. Erst die vier Männer ­ Colin Clarke, Cassiano Garcia, Wilson Mosquera Suarez, Tsutomu Ozeki -, die sie für das zweite Viertel der Aufführung ablösen, durchbrechen die Tabus, denen die Frauen sich unterwerfen. Sie heben die Isolation der Individuen auf. Sein komplettes Ensemble, nun dunkelgekleidet, treibt Goldin in immer neuen Anläufen in ein großartiges tänzerisches Crescendo: Reinigungsritual und Spaßbad in einem. Die in der ersten Hälfte des Stücks fast asketisch wirkende Bewegung gewinnt nun Fülle und Reichtum. Die zunächst vorwiegend „originelle” Choreographie erlangt eine schöne Selbstverständlichkeit und schwingt sich zu orgiastischen Höhen auf: Goldins bestes Stück seit langem.”

Jochen Schmidt, balletanz, Nr. 2, Februar 2005


„(...) Mit immer neuen Anläufen treibt der Choreograph sein nunmehr komplettes Ensemble in ein großes tänzerisches Ensemble: Bewegung gewinnt Fülle und Reichtum. So wird aus Goldins „Brahms.Variationen” eines der besten Tanzstücke der Saison. (...)”

Jochen Schmidt, Die Welt, 24. Dezember 2004


„Ein grüner Salon öffnet sich vor dem Publikum wie eine Reminiszenz an gepflegte Gesellschaftstreffen zu Klaviermusik. Und wenn dann ganz zart und wie von Fern Brahms' Variationen über ein Thema von Schumann erklingen, huschen aus den drehbaren Salonwänden von Bühnenbildner Matthias Dietrich plötzlich die Tänzer hervor, gespensterhafte Chimären aus längst vergangener Zeit. Doch es muss ein koboldhafter Geist gewesen sein, der sie geleitet hat. Denn keine gravitätische Strenge haust mehr in diesem Salon, sondern Witz und Spieltrieb. Der Boden des Raumes ist ein Wasserbassin, durch das die acht Tänzer knöcheltief waten müssen, und das ihr Bewegungsspektrum nach oben, in die Torsi und vor allem in die Arme, verschiebt. Sprünge verbieten sich hier und jeder Beinschwung bringt neckische Spritzer bis in die vorderen Reihen des Publikums mit sich, sondern sorgt auch für eine rauschende Geräuschkulisse zu filigranem Klavierspiel. Doch an dieser zusätzlichen Klangquelle krankt letztlich Goldins Einfall. Mag der Bildeffekt großartig sein, die Wasserplanscherei hätte akustisch mit der Musik abgestimmt werden müssen. Statt solcher Musikalität widmet sich Goldin lieber dem optischen. In phantasievoll wechselnder Beleuchtung zeigt Goldin einmal Lyrisch-Verschnörkeltes, mal clowneskes Wasserballett, mit einem Bewegungsvokabular, das zwar an den Pathos beladenen Ausdruckstanz der Zwanziger und Dreißiger Jahre erinnert, dieses jedoch immer wieder humorvoll unterläuft. So wird die Anlehnung an die Tradition zum bloßen Zitat. Denn Goldin bricht die konventionellen Körperharmonien auf, er lässt die Tänzer plötzlich wie Spielzeugmänner über die Bühne trappeln oder sportiv durch das Becken pflügen. Und selbst wenn ihre Körper wie Wasserlilien schwingen, so wirkt die süßliche Schönheit dieser Bewegung wie eine kalkulierte Übertreibung, die dann mit einem Purzelbaum durchs Nass konterkariert wird. Daniel Goldin interpretiert die streng formalistischen Variationen von Brahms mit seinem Tanz in postmodern-ironischer Manier. Und dank der kulinarischen Kleinteiligkeit des Abends, des fließenden Wechsels zwischen Soli, Duos und Ensemblechoreographien, sowie dank der beeindruckenden Bewegungsfülle perlen auch die Assoziationen des Publikums entspannt dahin. So hat Goldin wieder einmal seinen festgelegten Stil an neuem Objekt erprobt. Und das Publikum nimmt schließlich ein Brahms-Bild mit nach Hause, das lächelt - auch dies die Variation eines Klischees.”

Nicole Strecker, WDR3, Mosaik, 06. Dezember 2004


„Wenn ein Choreograph abstrakte Meisterwerke der Musik für seine Kunst adaptiert, erleben die Zuschauer mitunter veritable Metamorphosen als faszinierenden Ohren- und Augenschmaus. Genau das gelingt in Münster Daniel Goldin mit seinen „Brahms.Variationen". Das Kammerballett ist auch dank der Licht-, Raum- und Kostümgestaltung von Reinhard Hubert, Matthias Dietrich beziehungsweise Gaby Sogl ein sinnliches und ästhetisches Erlebnis. Zum erstenmal erzählt Goldin fast keine Geschichte, sondern lässt sich von der musikalischen Form des Variationszyklus leiten. Wie Johannes Brahms ist Goldin weder "Neutöner" noch Epigone. Aber beide berufen sich auf große Traditionen als Brücke zu ihrer Jetztzeit und dem eigenen Schaffen. (...) Dass Goldin die Kompositionen in tanzgerechten Interpretationen vom Band einspielt, unterstreicht den intimen Charakter des einstündigen Stücks durchaus respektvoll. Das Thema tanzt jeweils ein Solist. Dann kommen die Frauen und Männer hinzu. Im dritten Teil tanzen alle. Die lebenslaufartig ineinandergreifenden Kurzchoreographien baut Goldin wie ein Crescendo auf. Die Bühne ist knöchelhoch mit Wasser überflutet. Zögernd wagen sich die Tänzerinnen anfangs ins Nass. Nur eine spritzt mal mit der Fußspitze ein bisschen. Die Männer waten anschließend kräftig durchs Wasser und treten es wie Fußballer. Zum Schluss strecken sich alle platschend und wohlig im Wasser aus wie Urlauber zum Sonnenbad am Strand. Die Kostüme deuten das Thema der Variation durch farbliche und stilistische Varianten von schlicht-eleganten Anzügen und Kleidern an: kindlich fröhliche, weiße, gelbe und orangefarbene Sportanzüge zuerst, gefolgt von Feuerrot, schließlich formelle Garderobe in Lila und Weinrot. Dietrichs Raum erinnert an das Foyer eines Schwimmbads. See- und moosgrün sind die Wände getüncht, die Farbtöne in Wellenlinien voneinander getrennt. Die meterbreiten schwenkbaren Wandpartien bieten raffinierte „Türen" für Auftritte und Abgänge. Sechs Kugellampen hängen herab - milchige Monde, die mal die eine, mal die andere Szene beleuchten. Düster wird es bei langsamen oder in Moll komponierten Variationen. Meist aber ist der Raum hell, und die vier Tänzerinnen und vier Tänzer wirken so viel weniger melancholisch und angstgetrieben als selbst in Goldins anderen Musikballetten „Winterreise" oder „Der Tod und das Mädchen". Dass Handgesten, oft „Klavier spielend", und Schulterzucken (Symbol für die Suche nach dem richtigen Ausdruck?) dominieren, liegt auf der Hand. Zischen und glitzernd perlende Kaskaden, Spiegelungen an den Wänden und durch die Wasserfläche hindurch erzeugen phantastische Klangeffekte und reizvolle Optik. Goldin hat den so gar nicht "theatralischen" Komponisten Brahms auf geistreiche Weise wieder für die Tanzbühne entdeckt. Er reiht sich würdig an Vorgänger wie Léonide Massine, George Balanchine, John Cranko und auch Bronislawa Nijinska.”

Marieluise Jeitschko, tanzjournal Nr1, Februar/März 2005


„(...) Weit entfernt von einer minutiösen „Takt für Takt"-Übersetzung der drei zyklischen Variationen von Brahms auf Themen der Komponisten-Kollegen Schumann, Haydn und Händel, erfassen der hochmusikalische Tanzschöpfer Goldin und sein Ensemble die Stimmungen und Rhythmen des Musikers in sorgfältig durchkomponierten Besetzungen. (...) Reinhard Huberts Lichtdesign unterstreicht den musikalischen Ausdruck in idealer Weise. (...) Pina Bausch ist mit ihren radikalen Bühnenveränderungen durch den wassergefluteten Bühnenboden präsent. Aber sehr poetisch spiegeln, flimmern, spritzen hier Fläche und Tropfen. Wie schnell verfliegt die Angst, der Melancholiker Daniel Goldin habe Variationen auf Robert Schumanns Selbstmordversuch am Rhein oder Brahms' unerfüllte Liebe zu Clara Schumann erzählen wollen. „Brahms.Variationen" ist ein Tanzstück zum Zuschauen und zum Hinhören. Nach John Cranko und Leonid Massine (...) ist Daniel Goldin der erste, der den so gar nicht "theatralischen" Komponisten Brahms für die Tanzbühne entdeckt. Goldins Wahl der „Variationen" überzeugt in dieser choreographischen Konsequenz, in der er sie auf die Bühne bringt, am meisten.”

Marieluise Jeitschko, Neue Westfälische, 07. Dezember 2004


„(...) Daniel Goldin hat für seine neue Choreographie „Brahms. Variationen" die Städtische Bühne in Münster fluten lassen. So entsteht zwischen hellgrünen Wänden der Raum eines altertümlichen Schwimmbads in symbolismus-ähnlicher Atmosphäre. Wobei Schwimmbad dann doch nicht ganz stimmt. Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich nur knöcheltief im Wasser. Eine richtige Handlung existiert nicht. Die Handlung ist die Variation, die der Musik, Brahms' Variationen über Motive von Schumann, Haydn und Händel für Klavier. Und die der tänzerischen Bewegungen bei ihrer Interpretation. Die Musik liefert die Vorgabe, auch was die Dauer angeht. Das führt zwar zu ein, zwei kleineren Längen. Insgesamt aber gelingt das Konzept ausgezeichnet. Die Choreographie setzt Kontrapunkte gegen die Musik des „genialischen", noch nicht 30-jährigen Brahms, sie gewinnt den romantischen und romantisierenden Akkorden durchaus Ironisches ab, Spielerisches gar, bis hin zum Synchron-Purzelbaum. Goldins Interpretation ist aber zugleich ganz nah an der Musik. Seine spezifische Körpersprache - und die seines Ensembles - besteht in raschen wiederkehrenden Bewegungen, Gesten, die sich oft steigern zu Momenten des Gefangenseins im Wiederkehrenden. Kontrastiert wird das von traumartig gedehnten Abläufen. Das wirkt hier fast wie eine Art Über-Wasser-Gehen. All das passt augenfällig zu dieser Musik, reflektiert nichtsdestotrotz auch Brüche. Überhaupt: Tanzen im Wasser. Es bewirkt eine Steigerung des synästhetischen Effekts. Jede schnellere Bewegung ist zugleich hörbar lautes Platschen, ist sichtbar, wenn das Wasser aufspritzt, und in der vorderen Publikumsreihe auch fühlbar. Das Wasser wird so zur Verlängerung der Körperbewegungen und zu ihren Variationen.”

Markus Termeer, taz nrw, 11. Dezember 2004


„Nicht nur mit der gelungen Interpretation der Musik (...) und mit der Erkenntnis, dass musikalische Variationen unglaublich vielfältig, emotional und intensiv tänzerisch ausgedrückt werden können - nein, der wohl faszinierendste Aspekt des Abends war das Bühnenbild: ein schlichter, untergekühlter, in Meerwasser-grün gehaltener Raum, in dem die acht Tänzer eine Stunde lang im knöcheltiefen Wasser tanzten. Was zu Anfang für leichte Irritation sorgte, entwickelte sich rasch zu einem eigenständigen Stück, das teilweise eine mitreißende Synthese mit der Klaviermusik einging, teilweise unabhängig davon zu existieren schien. Vom ersten fast ängstlichen Kontakt mit dem Wasser über eine hingebungsvolle Szene des Ankommens bis zum gemeinsamen Sein im Wasser nutzten die Tänzer alle Möglichkeiten des Elements. So entstanden Lichtreflexe durch das spritzende Wasser, Farb- und Konturvariationen durch die nasse Kleidung. Wechsel in der Dynamik, Variationen der Bewegungsabläufe nahmen die Musik ebenso auf wie Interpretationen von lyrischen Sequenzen, ausgelassenen Spielen und das aggressiven, abgehackten Bewegungen. Zuweilen wirkte die Entwicklung auf der Bühne wie eine Klammer um die drei Brahms-Stücke, zuweilen entfernte sich der Tanz leider sehr weit von der Musik zugunsten von Effekten durch Wasser und Lichtreflexe. Dem Publikum blieb viel Raum für Phantasie. Denn wo die Tänzer wie ein Schwarm Vögel wirkten, der sich auf dem Wasser niederlässt, da suggerierte das Bühnenbild eine Unterwasserwelt. Der Intensität und Eindringlichkeit des Ausdrucks tat das jedoch keinen Abbruch: Das Tanz-Ensemble der Städtischen Bühnen mit Choreograph Daniel Goldin brillierte wieder einmal.”

Petra Faryn, die Glocke, 6. Dezember 2004


„(...) Daniel Goldin lässt seine Tänzerinnen und Tänzer im kühl-klassizistischen Ambiente einer römischen Therme zu Brahms' Variationen von Schumann, Haydn und Händel - planschen. Zugegeben, etwas salopp ausgedrückt. Denn die Kombination von Wasser und Tanz ist effektvoll. Der Nachteil ist allerdings, dass der Tanzboden zwischen den düster marmorierten Wänden zwischendurch nicht trockengelegt werden kann. Einen ganzen Abend in knöcheltiefem Wasser bestreiten zu müssen, das ist nicht nur eine Herausforderung für die Tänzer, sondern auch ein künstlerischen Handicap. Das schwer kalkulierbare und selten pointiert eingesetzte Geplätscher sabotiert auf Dauer die Sinnlichkeit der Musik. Die zudem noch aus der Konserve kommt - wogegen die prinzipiell was einzuwenden ist. Die lyrischen, mit träumerischer Strenge angelegten Choreographien dieses Abends aber verlangen nach einer entsprechenden sinnlichen Präsenz der ergreifenden Klaviermusik, nach einem gleichwertigen Partner. Aber vielleicht liegt diese Tatsache lediglich dem überkandidelsten Genussmenschen quer. Denn „Brahms.Variationen” ist eine der spielerischsten und lustvollsten Inszenierungen Daniel Goldins seit längerem. Musik und Tanz gehen einen flirrenden pas de deux ein - und die dauerhaft schiere Präsenz des Urelements Wasser hält diese ergreifende Kombination fest in ihrem elektrisierenden griff. Zwar ändert sich die Farblichkeit vom lebensbejahenden Gelb-Orange graduell zum melancholischen Lila-Blau, aber die wohltemperierten Wechsel zwischen reflexiver Verhaltenheit und elementar ausgelassener Körperlichkeit erzeugen eine durchgehende Intensität. Man denkt gar nicht daran, nach einem Bonbon zu nesteln.”

GIG, Mai 2005


„Es ist eigentlich eine Choreographie für acht Tänzer, doch auf der Bühne tanzen neun. Der neunte dieses Abends am Kleines Haus der Städtischen Bühnen Münster ist an sich ziemlich träge, muss immer neu animiert werden, doch dann ist er fast geschmeidiger als alle anderen zusammen, schmeichelt, schillert, stellt sich sogar trotzig gegen alle acht anderen und bremst sie manchmal ganz keck aus. Sein Künstlername: H2O. Handkantenhoch steht das Wasser auf der Bühne. Die Wasserfläche sieht so harmlos aus wie ein Teppich, doch flauschig wird es hier nicht. Schon rein technisch verlangt Daniel Goldin in seiner neuesten Choreographie den Tänzern alles ab: Sie agieren im Grunde in einem Becken auf einer rutschigen, faltigen Plastikfolie. Sie müssen das Wasser scheuchen, sich in ihm winden. Anfangs sind die Berührungen noch zaghaft, aber Goldin verjagt die Scheu immer mehr. Zum Schluss scheinen die Tänzer gar mit dem Element zu verschmelzen. Sie geben sich ihm ganz hin, werfen sich in die Ursuppe. Haare, Kleider, Körper: Alles ist nass, alles ist schwer. Goldin erzählt diesmal keine konkrete Geschichte. Und das ist ungewöhnlich. Mit 'Brahms. Variationen' geht er eine sehr formalästhetische Auseinandersetzung mit der Musik ein. Mit einer Formensprache, die entgegen seinen vergangenen Arbeiten erstaunlich heiter und verspielt sein darf. Goldin gestaltet mit einem aufwändigen Spektrum aus Farbe, Licht, Schatten, Wasser und Spiegelungen warme, glänzende Bilder. Und doch er wahrt Distanz. Zum Romantiker wird er nie - den drei Brahms-Variationen zum Trotz. Es sind die Variationen über ein Thema von Robert Schumann (op.23), über ein Thema von Joseph Haydn (op.56b) und über ein Thema von Georg Friedrich Händel (op.24). Klaviermusik, die mit Form und Schönheit experimentiert. Und das macht Goldin auch. Um die Wasserbühne (Matthias Dietrich) herum strahlen aquamarine Wände (mit Heizung und Luftschächten). Ein Schwimmbad? Ein Aquarium? In dem die Tänzer schillernd wie Zierfische ihr Wesen suchen? Erst allein. Dann sich zaghaft an einen zweiten schmiegend. Dann in Formationen schwimmend. Immer neue Variationen suchend. Die schillernden Farben der Kostüme (Gaby Sogl) unterstützen diesen Effekt. Die vier Frauen: orangefarbene Tönungen. Die vier Männer: Variationen in Rot. Alle zusammen: Farbspiele in Violett. Und das Wasser spiegelt sie: Eine Variante entfernt. - Großer Applaus.”

Sabine Müller, Münstersche Zeitung, 06. Dezember 2004


„(...) Goldin komponiert auf Brahms' Musik Variationen auf die großen Tanz-Erneuerer des 20. Jahrhunderts - an die Ausdruckstänzerinnen Mary Wigman und Isodora Duncan erinnern Frauen in fließenden Gewändern und mit offenen ‚Mähnen’, an die Grand Dame des „Modern Dance” archaische Ensembles im Profil und in lacken Glockenröcken, die Raum geben für die im Knie harsch abgeknickten Beine. Armschwünge wie Vogelschwingen erfand der Amerikaner Alvin Ailey, ausladende Bögen über dem Kopf sind klassische „Port de bras”. Gerade vor den Körper gestreckte Arme gehören zur Folkwang-Ästhetik, vibrierende Finger und Hände wecken indische und südamerikanische Natur-Assoziationen. (...) Das Licht! In kaum einem deutschen Tanztheater spielen Licht und Farbe eine so entscheidende Rolle für die Ästhetik, Sensibilität und Kunst wie hier in Münster: Wechsel von grünlichen und bläulichen Tönen, milchiges Licht aus den Kugellampen, glutrote Türfüllung(...)”

Marieluise Jeitschko, Gießener Allgemeine, 09. Dezember 2004


„Hände zittern. Ellenbogen kreisen ganz schnell, wie die Flügel von kleinen Insekten. Immer wieder, mal einzeln, mal im Ensemble. Später schlagen die Tänzerinnen auch Purzelbäume und lassen sich hintenüber fallen. Alles im knöcheltiefen Wasser. Für die Choreographie „Brahms. Variationen” verwandelte Daniel Goldin die Bühne im Kleinen Haus der Städtischen Bühnen Münster in ein großes Planschbecken. Die Variationen (...) werden von Band eingespielt. „Variationen”: Brahms setzte Noten zu Motiven zusammen, verwebte die sich wiederholenden Motive zu Musik, die eine Stimmung erzeugen mag. So verbindet auch Goldin Bewegungen zu Bewegungsabläufen, und die Bewegungsabläufe von vier Tänzerinnen und vier Tänzern spiegeln einander und wiederholen sich, so dass daraus ein Tanz entsteht, der mal lebhafter, mal besonnener, mal kämpferisch erscheinen mag. Mit diesem Ansatz kommt Goldin abstrakter und auch tänzerischer daher, als man ihn aus den Choreographien der letzten Jahre kennt. Das Wasser bedeckt fast den ganzen Bühnenbereich. Trockenen Fußes bleiben die Tänzer nur im hinteren Teil der Bühne, in einem Durchgang, zu drei Stufen hinauf führen. Dort erscheint Colin Clarke zu Beginn des Abends: sachte Bewegungen, poetisch, die von der noch spiegelglatten, schwarzen Oberfläche des Wassers wiedergegeben werden. Der Tänzer beachtet das Wasser nicht, als er es betritt. Doch der Wasserspiegel zerreißt, jeder Schritt schlägt Wellen. Je mehr Personen auf der Bühne sind, je heftiger sie sich bewegen, desto mehr schwappt und spritzt es. Variationen mit Wasser, die die Musik teilweise fast übertönen. Das Wasser fasziniert. Die Zuschauer spüren mit den Tänzern, wie es die Hosenbeine hinaufkriecht. Niemandem entgeht die Annäherung der Tänzer an den Boden. Ein erster setzt sich hinein. (...)”

Ursula Pfennig, Westfälischer Anzeiger, 07. Dezember 2004

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