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Papirene Kinder

Ein choreographischer Roman

(...) Daniel Goldin und seinem Ensemble ist es gelungen, beide Seiten, das Neue und das Alte, tanzend in einem bewegten Gleichgewicht zu halten, Sehr poetisch und ohne belehrenden Gestus wurde sinnfällig, dass die menschliche Würde in der Beziehung beider Elemente  steht.(...)"

Hans Butterhof, Recklinghäuser Zeitung, 18. September 1996


„(...) Goldin zieht das Puppenspiel als zweite Ebene in sein Stück ein, als Erinnerungsebene an die Zurückgebliebenen in der Heimat im Schtetl, die nur durch Briefe (daher der Titel) bei ihren Angehörigen in der neuen Heimat sein können. Und doch sind die Marionetten mehr als nur Chiffren der Erinnerung. Sie sind auch eine Anleitung zum Tanz, der über die Erinnerung und die Gefühle, die mit ihr verbunden sind, über eine surreal anmutende Traum- und Hochzeitsszene den Tänzern zu einem neuen Gleichgewicht und neuer Ausdruckskraft verhilft. Daniel Goldins sehr persönliche Reise um die Welt endet mit einem Freudentanz, einem kreischenden Werden und Vergehen ewiger Bewegung, die, wie es einmal im Stück heißt, der einzige Aufenthaltsort des Menschen ist. (...) Einfühlsam und ohne zu viel Nachdruck getanzt, folgen die Gliedmaßen wie Pendeln den Körpern, die sich immer wieder explosionsartig in steilen Linien öffnen und schließen.(...)“

Gerald Siegmund, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 1996


„(...) Eine reichliche Stunde lang malen die Tänzer seine (Goldins) Skizzen einer Geschichte ohne Ende – Lebenswanderungen von Menschen unterwegs, jüdische Emigranten vor allem – in poesievoll originellen Bewegungen, die sich bei genauerem Hinsehen als Alltagsgesten entpuppen, im Zeitlupen- und Zeitraffertempo mit größtem Raffinement „zerlegt“. Es entstand ein farbenfrohes, vielfältig menschlich-gefühlvolles Gemälde aus liebenswerten, zart-wehmütigen Tönen und ausgelassenen Temperamentsausbrüchen. Matthias Dietrichs perfekt geführte Marionette, die auch das jiddische Lied „Papirene Kinder“, die für die Eltern nur durch ihre Briefe leben, „singt“, setzt theatralische Akzente. Das Publikum feiert Goldins pralles, poesievolles, virtuoses Tanztheater und seine Darsteller stürmisch.“

Marieluise Jeitschko, Ballett-Journal/ Das Tanz-Archiv, Nr. 5, 01. Dezember 1996


„Am Anfang ist Heimat. Kehliger Frauengesang füllt den Raum, Volksweisen aus der Ukraine. Fünf Tänzer zeigen ihr Leiden an dieser alten, kargen Welt. Einer kommt nicht vom Fleck. Eine andere hält sehnsüchtig Ausschau, wähnt das Bessere in weiter Ferne. Ein Dritter quält sich in unsichtbarer Enge. Niedergedrückte Gestalten allesamt. Sie wollen weg, sie werden gehen. Für die Zurückgebliebenen sind sie „Papirene Kinder“ – existent nur noch durch ihre Briefe aus der fremden, neuen Welt. (...) Die „Papirene Kinder“ demonstrieren, was sie forttreibt. Armut, Unterdrückung, Neugierde, Hoffnung sind unmittelbar abzulesen. Lichtkegel schneiden die Tänzer auseinander, in den Erinnerungen ist jeder allein, in den alten Trott zurückgefallen, seinen Beweg-Gründen ausgeliefert. Hilflose Gesten des Abschieds führen wie ein Refrain wieder zusammen. Während die Geräuschkulisse  - Mendelssohn im Kurzwellenempfang durchsetzt mit Sendestörungen – ein Niemandsland entstehen lässt; schon fort und noch nicht angekommen. Die Gruppe stürzt sich, zusammengesungen in Mutlosigkeit, dann wieder entschlossen und trotzig, die Zukunft herausfordernd, schließlich euphorisch und in Zeitlupe gezerrt, neuen Ufern entgegenstrebend, wie dem Paradies. Goldin, der im Folkwang Tanzstudio und in Wuppertal bei Pina Bausch arbeitete, hat eine direkte und präzise Sprache. Bewegung aus Ausdruck erscheinen bald als naheliegende Umsetzung von Emotionen und Situationen: dennoch überwiegt eine Zurückhaltung, die die Poesie des Tanzes dominieren lässt. (...)“

E. Elling, Lüdenscheider Nachrichten, 17. September 1996


„(...) Daniel Goldin zeigte seine „Papirene Kinder“, ein leises, von Poesie erfülltes Tanzwerk, das, wie seine anderen Arbeiten auch, von seiner eigenen jüdischen Biographie erzählt: vom Auf-Dem-Wege-Sein, von Emigration, vom Aufbrechen in eine ungewisse Zukunft, von zeitlicher Vergänglichkeit. Zeitmaß und Musik geben den Ton an. Jiddische Volkslieder, Werke von Smetana und Mendelssohn untermalen als raffinierte Klangcollage die expressiven Stimmungsbilder. Zeitlupenhafte Bewegungsabläufe suggerieren das Fremdsein im Land oder die traumhafte Erinnerung an weit Zurückliegendes. (...)“

Dagmar Schenk-Güllich, Ballett international/ Tanz aktuell, November 1995

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