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Cuentos del Camino - Wegerzählungen

Eine Tetralogie von Duetten

Emotion und Bewegung
Vier Doppelporträts, vier Episoden, vier Stimmungen ergaben eine Stunde charaktervollen Ausdruckstanz

„(...)Reichhaltig im Bewegungskanon einer großen Palette von Emotionen, gleichermaßen elaboriert und auf das Wesentliche reduziert, provozieren die Stücke von jeweils etwa einer Viertelstunde Spannung bei den Zuschauern. Getragen von keltischer Folklore aus Irland und dem nordspanischen Galicien, bereichert vom seelenvollen Streicherthema (Alexander Borodin) sowie Musik von Emilio Cao und Antonio Seoane, entsteht bei aller Verknappung dennoch ein sinnliches Erlebnis mit nachhaltiger Wirkung. Windgeräusche geben Assoziationen frei bei den mehrdeutigen Titeln für die vier »Erzählungen« aus Klang, Tanz und Pantomime, die in ihrer Verdichtung eher Miniaturen sind. In der Unräumlichkeit kulissenfreier Dunkelheit, nur akzentuiert durch Beleuchtung, agieren vier Paare in alltäglicher Kleidung.

Mit »A la deriva« leiten Laura Avila und Yusuke Inoue den Abend verhalten ein. Unsicherheit, Zittern und zurückgenommene Körperpräsenz vergegenwärtigen die kaum zielgerichtete Charakteristik von »Treibgut« mit poetischen Einschüben durch Borodins elegisches Cello-Thema. Abrupte Bewegungen gehören ebenso wie geschmeidige Details zur Körperarbeit. »La Peregrinación« – die Wallfahrt – tanzen Maria Adriana Dornio und Sven Krautwurst mit Hingabe und (innerer) Selbstentblößung in intensivem Dialog; mühevolles Vorankommen wie Erschöpfung werden dabei thematisiert. Nicht ohne Humor ist die Realisierung von »La Sombra y la Luna« (Der Schatten und der Mond) mit Julie de Meulemeester und Patrick Cabrera Touman; besonders die Tänzerin fesselt mit ihrer teils irrwitzigen Zappelei - eine originelle Darbietung!

Voller Optimismus ist nun das vielleicht konkreteste Viertel des Abends, »Alborada«, der Tagesanbruch. Eine optische eigenständige Rolle spielt dabei Caitlin-Rae Crooks bodenlange weiße Spitzenstola, die dem volkstümlich daherkommenden Stück mit seiner hinreißenden Rhythmik eine schöne ästhetische Note gibt. Partner Gleidson Vigne ergänzt mit männlicher Eleganz den überbordend lebensvollen Paartanz. Ein wenig zu rot für einen Sonnenaufgang erstrahlte zuletzt die Beleuchtung, aber ein dramaturgisch höchst gelungener Abschluss dieser zeitlosen, anregenden »Wegerzählungen« war Alborada allemal.“

Olga Lappo-Danilewski, Gießener Allgemeine Zeitung, 01. Dezember 2018

 

Vier Paare, vier Schicksale
Ein Abend der Nuancen: Tanzcompagnie Gießen präsentiert Tetralogie mit Duetten des Argentiniers Daniel Goldin

„Vier Paare unterwegs, tanzend, voller Hoffnung, auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft.
(...)„A la deriva“: So lautete der Titel des ersten Duetts. Fast unbeweglich sind Laura Avila und Yusuke Inoue in der Dunkelheit zu entdecken, beleuchtet nur von einem schmalen Lichtstrahl. Zwei erschöpfte Menschen, wie Treibgut ans Land gespült, die zitternd eine Annäherung versuchen und am Ende doch scheitern. Das verstehen die beiden Tanzenden in ihrer Performance feinsinnig zum Ausdruck zu bringen.

Das zweite Duett zeigt Lebenswege aus einer anderen Perspektive: Maria Adriana Dornio und Sven Krautwurst sind in „La peregrinación“ (Die Wallfahrt) als Reisende unterwegs. Sie schreiten dem Horizont entgegen, versuchen Annäherung und Verständigung in immer neuen Formen. Die Tänzer erweisen sich als eingespieltes Team, in ihren Bewegungen sensibel aufeinander eingehend, oft in innigen Umarmungen.

Besonders viele Emotionen hält das folgende kleine Tanzstück bereit. „La sombra y la Luna (Der Schatten und der Mond)“ lautet der Titel und geradezu traumhaft ist der Auftritt des Paares Julie de Meulemeester und Patrick Cabrera. Die Tänzer umrunden sich, spielen miteinander, messen den Raum aus. Die Bewegung der Hände, der Ausdruck des Gesichtes ist in diesem Stück besonders wichtig, und beide Tänzer präsentieren sich in inniger Verbundenheit, wie im Traum oder in Trance.

Schließlich „Alborada“ (Tagesanbruch: In ihrem Auftreten und auch in den Kostümen wirken Caitlin-Rae Crook und Gleidson Vigne, als seien sie irische Auswanderer, die in die Neue Welt unterwegs sind. Zunächst gebannt und nur mit wenigen Bewegungen in Richtung Zukunft blickend, kommen die Tanzenden im Lauf des Stückes zu keltischer Folkloremusik immer mehr in Fahrt. Der Tanzabend kombiniert die Gitarren- und Dudelsackklänge unter anderem mit Musik von Alexander Borodin und Antonio Seoane, unterbrochen von bedrohlichen Sturmgeräuschen.

Vier Paare, vier Lebensschicksale. Einen Ausschnitt daraus hat der Choreograph Daniel Goldin mit seinen „Wegerzählungen“ das Gießener Publikum miterleben lassen. Eine Choreographie wie feine Kammermusik(...) Langer und begeisterter Applaus belohnte die Tänzer für ihre ästhetischen und sorgfältig einstudierten Darbietungen(...) „

Ursula Hahn-Grimm, Gießener Anzeiger, 01. Dezember 2018

 

„Mit Daniel Goldins „Wegerzählungen / Cuentos del Camino“ holt der Gießener Ballettdirektor Tarek Assam nach Henrietta Horns „Auftaucher“ vor einem Jahr den zweiten Tanzklassiker der Moderne an das Gießener Theater. Die Tetralogie "Wegerzählungen" hatte 1994 Premiere in Münster, aufgeführt von Mitgliedern des Essener Folkwang-Tanzstudios. Die einzelnen Duette sind zu verschiedenen Zeiten entstanden (1986-1992) und wurden anfangs auch als Einzelchoreografien aufgeführt. Erst für die Aufführung 1994 wurden sie aneinandergefügt(...)

Die Musik ist magisch, zusammengestellt aus der Volksmusik Galiziens und Irlands, gemischt mit Naturrauschen und Straßensounds. Die Ursprünglichkeit der galizischen Landschaft (Nordspanien) und das einfache Leben der Menschen dort inspirierten Goldin 1986 zu seinem ersten Duett. (...)

Das erste Paar, „Treibgut“, wird von Laura Ávila und Yusuke Inoue elegisch zelebriert, beinahe stehend an einem Punkt, hin und her schwankend wie Halme im Wind. Die „Wallfahrt“ erfolgt diagonal durch den Raum, das Paar ist in Straßenkleidung mit Hut und Kopftuch gewandet. Die Szene führt zur körperlichen Nähe mit Andeutung von Gewalt; getanzt von einer ausdrucksstarken Maria Adriana Dornio und Sven Krautwurst. „Schatten und Mond“ wird zur fast somnambulen Trance, in der Julie de Meulemeester und Patrick Cabrera Touman mit der Ausdruckssprache des Körpers psychische Extreme vor Augen führen. Die „Morgendämmerung“ steht für Hoffnung, das Paar wendet den Zuschauern den Rücken zu als stünde es an der Reling eines Ozeandampfers, der in einen Hafen des Goldenen Amerikas einfährt. Sie schauen, suchen, orientieren sich, gehen gebückt über lange Wegstrecken, bis sie dem Hoffnungsschimmer entgegen tanzen; leichtfüßig umgesetzt von Caitlin-Rae Crook und Gleidson Vigne.

(...) Das Premierenpublikum war hingerissen.“

Dagmar Klein, Tanznetz.de, 01. Dezember 2018

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